Schwimmen für die Emanzipation
Seit November 2018 steht in Kafr-Qara ein nagelneues, hochmodernes Hallenbad – Sauna und Fitnessbereich inklusive. Alles allein den Frauen und Kindern vorbehalten. Es ist wohl das erste und einzige seiner Art in den muslimisch geprägten Landesteilen Israels.
Die Küste Israels mit ihren wunderbaren Stränden und dem tiefblauen Wasser ist nur 20 Autominuten entfernt – und doch ist sie für die meisten Frauen der arabisch-israelischen Ortes Kafr-Qara „unerreichbar.“ Warum?
Die kleine Stadt mit ihren rund 18.000 Einwohnern hat einen gewissen Wohlstand und die Geschäfte laufen gut. In Kafr-Qara haben viele Männer auch akzeptiert, dass auch in der muslimischen Welt die Frauen mehr Rechte und Freiheiten bekommen können. Doch sich Vergnügen am Strand und Schwimmen im Wasser des Mittelmeeres mit Familie oder Freundinnen – das ist im konservativen Ort nicht erwünscht. So bleiben Schwimmen und Badespaß für fast alle Frauen hier ein Traum – trotz der so nahen israelischen Küste.
Die eigene Scham überwinden
Rania und ihr Mann haben das große Hallenbad privat gebaut- mit einem klarem Ziel: Frauen und Kinder, egal ob aus dem Ort oder aus aus einem anderen Teil der arabisch bewohnten Gebiete Nord-Israels, sollen die Chance erhalten, das Schwimmen zu erlernen. Unbeobachtet, ungehindert und unter fachkundiger Anleitung von Schwimm- oder Sportlehrerin. Schon jetzt kommen regelmässig Schulklassen zum Schwimmunterricht – ein Hallenbad inmitten des Ortes – das hat sich natürlich schnell herumgesprochen.
Die muslimischen Frauen müssen am Anfang oft ihre Scham überwinden, erzählt Rania. Sie kümmert sich als weibliche Chefin oft bis tief in die Nacht um Badegäste, Trainingsteam und Sauberkeit. Sich vor Freundinnen oder unbekannten Frauen nur leicht bekleidet zu zeigen, sei für muslimische Frauen alles andere als selbstverständlich. Doch der Wille, etwas für den eigenen Körper zu tun, sich gesund zu bewegen und vielleicht auch mal etwas abzunehmen, treibe auch hier in Kafr-Qara vor allem jüngere Frauen dazu, ins Schwimmbad zu gehen, meint Rania. Der kontinuierliche Ausbau des Fitnessbereichs im Hallenbad soll den Besucherinnen dabei zusätzlich helfen, ihre Ziele zu erreichen.
Für Rania und ihren Mann ist das Projekt Hallenbad neben der Investition auch zeitlich eine Herausforderung. Viele Frauen und Kinder kommen erst spät, nachdem die Arbeit daheim getan ist und die Temperaturen wieder erträglich sind.
Aber, so Rania, es macht riesigen Spaß, auch weil manchmal überraschend Schönes passiert. „So haben vor kurzem ein paar Frauen über 60 ihre Angst vor dem Wasser überwunden. Sie sind hinein ins Becken und konnten schon bald ein paar Schwimmzüge. Dann kamen sie heraus aus dem Wasser und umarmten mich fest mit den Worten: Du hast uns einen Traum verwirklicht.“
Emanzipation statt Männer-Wünsche
Das neben den arabisch-israelischen Frauen auch schon konservative haredische Jüdinnen das Hallenbad aufgesucht haben, ist für alle hier eine zusätzliche sehr positive Überraschung.
Riesigen Spass beim Schwimmen haben natürlich die Kinder. Ganze Schulklassen besuchen inzwischen das Bad. Vor allem im kühlen Winter und in den besonders heissen Sommermonaten hat das Hallenbad gegenüber den Freibädern in der der Region einen riesigen Vorteil: Klimaanlage oder Heizung sorgen für stets angenehme gleiche Wasser- wie Raumtemperaturen.
Neulich gab es aber auch Kritik aus dem Dorf, einige Männer hätten sich beschwert, erzählt Rania schmunzelnd. Ihnen sei das zu viel Emanzipation, wenn in der ganzen Woche Hallenbad und Schwimmen nur den Frauen vorbehalten sei, beschwerten sich. Auch sie, die Männer, wollen mal die Möglichkeit bekommen, durch das hellblaue Wasserbecken zu schwimmen….
Doch im Moment steht im Hallenbad von Kafr-Qara die Emanzipation der Frauen und ihre Wünsche an erster Stelle.