Korruptionsaffäre in Österreich

Ex-FPÖ-Chef H.C. Strache wegen Ibiza-Skandal vor dem Untersuchungsausschuß

Der 4. Juni 2020 – in der prachtvollen Wiener Hofburg warte ich gemeinsam mit fast einhundert Kollegen/innen aus dem In- und Ausland auf den Auftakt des parlamentarischen Untersuchungsausschusses (UA) zur Ibiza-Affäre. Ich stelle mir die Frage: Ist eine österreichische Regierung wirklich käuflich? Denn um nichts anderes geht es hier. In den kommenden Monaten steht das gesamte politische System Österreichs auf dem Prüfstand.
An diesem ersten UA-Tag ist das „Ringen“ der Medienvertreter um die besten Bilder und um Interviews mit den Akteuren wie Vertretern der Parteien mehr als heftig. Viele vergessen dabei die Corona-Vorsichtsmaßnahmen. Masken ja – aber dicht an dicht stehen wir zusammen. Man kann nur hoffen, denke ich da, dass hier nicht gerade ein neuer Corona-Hotspot entsteht. Journalisten und die Verantwortlichen der Parteien scheint das aber kaum zu stören.

Rückblick auf die „Geheimsache Ibiza“

Am 17. Mai 2019 „explodierte“ eine journalistische Bombe, die das gesamte politische System Österreichs erschütterte. An diesem Tag veröffentlichten die „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“ gleichzeitig ein Video, in dem sich der damalige Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, und sein Parteifreund Johann Gudenus um Kopf und Kragen reden. Das im Sommer 2017 in einer Villa auf Ibiza heimlich aufgenommen Video zeigt die beiden Politiker bei einem Treffen mit einer vermeintlich russischen Oligarchen-Nichte. Der damalige Oppositionspolitiker Strache diskutiert mit der scheinbar milliardenschweren Russin den Erwerb von Anteilen an der mächtigen „Kronen-Zeitung“. Dazu stellte der damalige FPÖ-Chef Staatsaufträge für die Oligarchin in Aussicht, als Gegenleistung für publizistische Unterstützung im Wahlkampf, die Strache mit an die Regierung bringen sollte. Der redselige Politiker prahlt im Video auch mit Kontakten zu superreichen österreichischen Unternehmern, wie der Kaufhauserbin Heidi Horten und dem Waffenhersteller Gaston Glock. Strache erzählt zudem von cleveren Methoden der Parteienfinanzierung vorbei am eigentlich zuständigen Rechnungshof.
Doch – die beiden FPÖ-Politiker waren in eine Falle getappt. Die Oligarchen-Nichte, die geplanten Geschäfte und Investitionen – alles ein Fake. Versteckte Kameras zeichneten die Ibiza-Gespräche auf, um dann via „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“ zum Mega-Skandal zu werden.
Am Tage der Veröffentlichung des Ibiza-Videos war Heinz-Christian Strache bereits Vizekanzler in einer Koalition von konservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ – angeführt von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Letzterer rief wegen des Skandals Neuwahlen aus und schaffte einen erneuten Sieg mit seiner ÖVP und schmiedete die aktuell amtierende schwarz-grüne Regierungskoalition. Die FPÖ war blamiert und verliert seitdem massenweise Wähler.

Der Ibiza-Untersuchungsausschuß … schlägt das alte politische System zurück?

Offiziell soll der UA klären, ob sich der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Parteifreund Johan Gudenus des Betruges, der Untreue und Bestechung schuldig gemacht haben. Besser gesagt: ob die damalige Regierung von ÖVP und FPÖ käuflich war.
Inzwischen aber geht die Ibiza-Affäre weit über den Abend auf der Baleareninsel und das Video hinaus. Seit Mai 2019 wird in Österreich ausgiebig über Parteispenden und möglichen Postengeschacher diskutiert. Zudem spielte Strache auch noch die Hauptrolle in einem Spesenskandal. Nun soll der U-Ausschuss weiter Klarheit über die Affären bringen. Auch stehen dabei mögliche Deals bei Postenvergaben während der Regierungszeit von konservativer ÖVP und rechter FPÖ (Dezember 2017 bis Mai 2019) im Fokus.

Die Befragungen von Strache und Gudenus brachten am ersten Tag kaum Licht ins Dunkle. Ich war erstaunt über das Selbstbewusstsein und die Abgebrühtheit der beiden rechtspopulistischen Politiker. Insbesondere der inzwischen aus der FPÖ herausgeworfene Strache gab sich wortkarg und versuchte das Geschehen auf Ibiza als „b‘soffene“ G’schicht“ abzutun, oder, wie im anschließenden Interview vor der Presse, sich als mögliches Opfer von „Betäubungsmitteln“ darzustellen.

Im Ausschuss selbst sind sich die Parteien uneins über Ziel und Vorgehensweise Ihrer Untersuchungen. Zu Beginn des UA konnte ich die Statements der einzelnen Parteien mitverfolgen. Während Grüne und liberale NEOS dabei eine grundsätzliche Aufarbeitung des politischen Systems der Alpenrepublik betonten, legten die Altparteien ÖVP und SPÖ mehr Wert darauf, sich gegenseitig alte Skandalgeschichten vorzuwerfen.

Eine „ausgebremste“ Korruptionsstaatsanwaltschaft

Das österreichische Printmagazin „Falter“ spricht zum UA-Auftakt von einem Boykott der Ermittlungen und einer „ausgebremsten Statsanwaltschaft“. Manche Personen in Polizei, Verwaltung und Justiz hätten Interesse, eine echte Aufklärung zu verhindern.
Schon letztes Jahr habe ein Mitarbeiter des Bundeskanzleramts von Bundeskanzler Sebastian Kurz unter falschem Namen mehrere Festplatten „geschreddert“ – eine Vernichtung von Beweisen? Und – die Abgeordneten wie Korruptionsstaatsanwälte und die „grüne“ Justizministerin waren erst vor wenigen Tagen darüber informiert worden, dass die Ibiza- Sonderkommission der Polizei (unter Kontrolle des ÖVP-geleiteten Innenministeriums) schon im April das mehrstündige Original-Band nebst Kameraequipments bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt hatte. Die Weitergabe des Beweisstücks und seine rechtzeitige staatsanwaltliche Auswertung blieben aber aus. Der UA muss also seine Aufklärungsarbeit beginnen, ohne dass seine Mitglieder das mutmaßlich 12 Stunden lange Video in Gänze gesehen haben.

Die einfachen Bürger, die „bessere Gesellschaft“ und Österreichs Politik

Und was sagt das österreichische „Volk“ in diesen Tagen? Die kleine österreichische Zeitung „Heute“ hat österreichische Bürger gefragt, was sie denn vom UA erwarten, ob es am Ende wirklich neue Erkenntnisse geben werde? Nur bei den Grünen-Wählern sind die Optimisten und Hoffnungsfrohen in der Mehrheit. Bei allen anderen Parteianhängern ist die Erwartungshaltung weitaus geringer. Hier glaubt man eher an das Überleben des politischen „status quo“.
Die Bewohner der an Skandalen stets reichen Alpenrepublik scheinen ihrer politischen Klasse wenig Rechtschaffenheit und Glauben zu schenken. Und – ganz sicher kennen sie das Gebaren der „Großkopferten“ im Land. Dieses zeigte sich auch am ersten UA-Tag in der Wiener Hofburg.
Hier sollten die Milliardäre Heidi Horten und Gaston Glock erscheinen. Doch, als bräuchte es noch einen weiteren Beleg für die „Sonderrechte“ der höheren Klasse, konnten Kaufhauserbin und Waffenhersteller der ersten Einladung des Untersuchungsausschusses entgehen. Man gehöre in der aktuellen Corona-Zeit zur besonders schützenswerten „Risikogruppe“, so hieß es, und könne aus gesundheitlichen Gründen deshalb nicht erscheinen.

Ich bin mir deshalb ganz sicher – es wird spannend in den nächsten Monaten – doch an einer echten Erneuerung des politischen Systems Österreichs zu glauben – das fällt auch mir recht schwer.